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MiFID II: Geeignetheitsprüfung nach § 64 Abs. 3 und 4 WpHG – Anforderungen im Überblick

Mit der Umsetzung von MiFID II und der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 wurde die Geeignetheitsprüfung im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) auf ein neues Niveau gehoben. Die Anforderungen sind detailliert in § 64 Abs. 3 und 4 WpHG geregelt und werden durch weitere Artikel der Delegierten Verordnung sowie die MaComp konkretisiert.

Geeignetheitsprüfung nach § 64 Abs. 3 und 4 WpHG

📘 Gesetzliche Grundlage: § 64 Abs. 3 und 4 WpHG

Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen vor einer Empfehlung bestimmte kundenspezifische Informationen einholen, um sicherzustellen, dass Finanzinstrumente oder Dienstleistungen für den Kunden geeignet sind:

🧠 Kenntnisse und Erfahrungen in Bezug auf relevante Finanzprodukte

💶 Finanzielle Verhältnisse, insbesondere Verlusttragfähigkeit

🎯 Anlageziele, einschließlich Risikobereitschaft

Diese Regelung gilt sowohl für die Anlageberatung als auch für die Finanzportfolioverwaltung. Eine Empfehlung darf ausschließlich auf Grundlage dieser Informationen erfolgen. Die Pflicht zur Geeignetheitsprüfung greift auch bei Umschichtungen von Portfolios, wobei zusätzlich eine Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen ist.


🧾 Die Geeignetheitserklärung nach § 64 Abs. 4 WpHG

Vor Abschluss eines Geschäfts muss dem Kunden eine Geeignetheitserklärung zur Verfügung gestellt werden – auf einem dauerhaften Datenträger (z. B. PDF, Kundenportal, Post):

  • Erklärung, warum ein Produkt oder eine Dienstleistung für den Kunden geeignet ist

  • Bezugnahme auf die individuellen Ziele, Kenntnisse, finanziellen Verhältnisse und ESG-Präferenzen

  • Hinweis auf mögliche Notwendigkeit zur Überprüfung der Empfehlung bei Änderungen

Die Details dieser Pflicht sind in Artikel 54 und 55 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 geregelt. Ergänzend gelten Anforderungen aus Artikel 58 für die Aufzeichnung der zugrunde liegenden Informationen.


🧩 ESG-Vorgaben – RTS 2021/1253 (seit 2. August 2022)

Seit dem 2. August 2022 müssen zusätzlich die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden in die Geeignetheitsprüfung integriert werden. Die ESG-Abfrage umfasst:

  1. Anteil taxonomiekonformer Investitionen gemäß EU-Taxonomie

  2. Anteil nachhaltiger Investitionen gemäß SFDR Art. 8 oder 9

  3. Weitere ökologische oder soziale Merkmale

Fehlt ein passendes Produkt, muss der Kunde bewusst auf ESG-Präferenzen verzichten – dies ist zu dokumentieren.


👤 Kundentypen und Behandlung

Kundentyp Behandlung in der Geeignetheitsprüfung
Privatkunden Vollumfängliche Prüfung + Erklärung
Professionelle Kunden Vereinfachte Prüfung, aber Pflicht bei Beratung
Geeignete Gegenparteien

Geeignete Gegenparteien können mit dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen vereinbaren, für alle oder einzelne Geschäfte als professioneller Kunde oder Privatkunde behandelt zu werden (§68 Abs. 1  Satz 2 WpHG


👥 Besondere Fälle: Juristische Personen & Gruppen

Ist der Kunde eine juristische Person oder handelt es sich um mehrere vertretene Personen (z. B. Ehepaar), muss:

  • Klar geregelt werden, für wen die Prüfung erfolgt

  • Vereinbart werden, wer Informationen liefert

  • Eine Dokumentation dieser Vereinbarung erfolgen

Dies sollte auf Basis einer institutsinternen Strategie erfolgen.


🔐 Interne Kontrollen und MaComp-Konformität

Zur Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen sind folgende Maßnahmen umzusetzen:

  • Geeignetheitsprüfung und -erklärung müssen revisionssicher dokumentiert sein

  • Daten müssen für Aufsicht und Compliance-Beauftragte zugänglich sein

  • Interne Prozesse müssen mit MaComp Modul BT 6 sowie DORA-Vorgaben zur IKT-Resilienz abgestimmt werden

  • Fehlerhafte oder unvollständige Prüfungen müssen durch ein wirksames Kontrollsystem erkannt und korrigiert werden


📊 Übersicht – Alt vs. Neu

Thema Bisherige Regelung Neue Regelung
Gesetzesgrundlage § 31 Abs. 4 WpHG (alt) § 64 Abs. 3 und 4 WpHG
Dokumentation Beratungsprotokoll Geeignetheitserklärung auf dauerhaftem Datenträger
ESG-Integration Nicht geregelt Pflicht seit RTS 2021/1253
Kundeninformation Allgemein Erhebung von Kenntnissen, Verhältnissen und Zielen
Aufsichtsrechtliche Verankerung Keine einheitliche Dokumentation Art. 54–58 DelVO (EU) 2017/565

✅ Fazit + Whitepaper-Hinweis

Die Geeignetheitsprüfung ist ein zentrales Instrument zur Sicherstellung von Kundeninteressen und rechtssicherer Beratung. Du solltest sicherstellen, dass:

  • alle gesetzlichen Anforderungen aus WpHG, MiFID II, Delegierter Verordnung und ESG-RTS erfüllt sind

  • die Prozesse intern dokumentiert, kontrolliert und regelmäßig überprüft werden

  • dein Team geschult und die Beratungspraxis auf dem neuesten Stand ist

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